Internationale Solidarität und grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Sisterhood
Über die Situation der vom Erdbeben-Betroffenen wird mittlerweile nicht mehr geredet; Trauer und Infragestellungen zum Krisenmanagement der Regierung werden als Staatskritik und Undankbarkeit gelesen und nicht geduldet. Menschen, die beim Erdbeben ihre Häuser und Wohnungen verloren haben, erhalten teilweise neue Wohnungen und werden im Gegenzug aber lebenslang verschuldet. Die Preise sind überdimensional. Die Inflation und Teuerung möchten mit weiterer Teuerung und Erhöhung der Steuer auf allen Ebenen auf dem Rücken der Bevölkerung überwunden werden. Was die außergewöhnliche Hitzewelle in der Erdbebenregion auslöst, wird auch nicht thematisiert. Neben dem Zugang zum Trinkwasser, die besonderen Situationen der vulnerablen Gruppen, wie z.B. Ältere und Menschen mit Behinderung(en) werden die Zukunftsängste bei den Jugendlichen von Tag zu Tag immer stärker. Mancherorts wird berichtet, dass eine Hierarchisierung in der Hilfslieferung für regierungsnahe und -kritische Regionen betrieben wird. Außerdem hat die Türkei inzwischen eine turbulente Wahl hinter sich gebracht und mindestens die Hälfte der Bevölkerung erstickt in Hoffnungslosigkeit. Heute sind die Menschen einem Bildungsminister ausgesetzt, der die Segregation von Schulen und Schulklassen nach Geschlecht einführen möchte. Die Frage über die Heiratsfähigkeit von 12, 13, 14 und 15 jährigen Mädchen wurde in den letzten 21 Jahren oft auf den Tisch gelegt, so auch gegenwärtig wieder. Es scheint, als wolle man den Puls der Bevölkerung messen, um Alpträume zum “optimalen” Zeitpunkt Realität werden zu lassen.
ZEYNEM ARSLAN
Am 6. März 2020 organisierten wir mit dem Motto der “Internationalen Solidarität der Schwestern in und aus aller Welt” die Frauentagung “SISTERs in ACTion”. Knapp bevor der Lockdown wegen COVID19 aufgerufen wurde, brachten wir eine erfolgreiche Frauentagung, die von unterschiedlichen Frauengruppen vertreten und besucht wurde über die Bühne. Am 6. Februar 2023 ereignete sich das schreckliche Erdbeben in der Türkei und in Syrien, das offiziellen Zahlen zufolge rd. 50.000 und inoffiziellen Zahlen zufolge um die 100.000 Menschen das Leben kostete. Es dürften einige zigtausend Flüchtlinge unter den Verstorbenen sein, die nicht registriert werden können. Wir nahmen dieses Ereignis noch einmal zum Anlass und setzten unsere Idee der “Solidarity of Sisterhood”, das lediglich durch die Pandemie unterbrochen war, wieder auf und solidarisierten uns am 09. März 2023 mit den Frauen und Schwestern in der Erdbebenregion. Die Frauenorganisationen erkannten in der ersten Minute, dass die Regierung blind auf dem weiblichen Auge war. Auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen in Krisenzeiten und Krisenregionen wurde zunächst gar nicht geachtet. Es waren diese Frauenorganisationen, die laut und entschlossen darauf aufmerksam machten, dass Hygieneartikel, frauengesundheitliche Versorgung, Versorgung der Neugeborenen und Kinder sowie in der Folge auch psychosoziale Aspekte völlig außer Acht gelassen wurden. Sehr rasch erkannten die Frauenorganisationen die Not der Stunde und mobilisierten landesweit. Unsere Idee der “buildingbridgesforsisterhood” wurde von unseren Schwestern vor Ort mit Begeisterung aufgenommen und wir mobilisierten für die internationale Solidarität und Sisterhood. Gegen die politische Hetze, die gegen Migrant*innen und Flüchtlinge in der Region in den ersten Tagen nach dem Erdbeben betrieben wurde, zeigten diese Frauenorganisationen an allererster Stelle und Front die rote Karte. Mit unserer Frauentagung “SISTERs in SOLIdarity” konnten wir einen konkreten Beitrag für die Unterstützung der vom Erdbeben betroffenen Frauen und Kinder leisten. Mit der Kooperation unserer Partnerorganisationen in der Erbebenregion haben wir Räume zur kritischen Reflexion der sozialen Entwicklungen in der Erdbebenregion geöffnet. Für die Frauen und Schwestern in der Erdbebenregion konnten wir Spendengelder einsammeln. Die Frauen, Schwestern und Freundinnen vor Ort sind auf jede Hilfe angewiesen und daher auch unendlich dankbar für unsere Solidarität.